Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD wurde nach wochenlangen Verhandlungen am 9. April veröffentlicht. Auf fast 150 Seiten legte die kommende Regierungskoalition der 21. Legislaturperiode ihre politische Agenda fest. Auch für den Bereich des Arbeitsrechts trafen die künftigen Regierungsparteien eine Vielzahl an Vereinbarungen:
Für die weitere Entwicklung des Mindestlohns soll sich die Mindestlohnkommission im Rahmen einer Gesamtabwägung sowohl an der Tarifentwicklung als auch an 60 Prozent des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten orientieren. Auf diesem Weg sei ein Mindestlohn von 15 Euro “im Jahr 2026 erreichbar”. Aus den Unionsparteien wurden unmittelbar nach Vorstellung des Koalitionsvertrages hieran bereits Zweifel laut. Die Koalition wird damit jedenfalls nicht erneut eine Anhebung des Mindestlohns per Gesetzesänderung vornehmen. Vielmehr soll die Weiterentwicklung des Mindestlohns weiterhin durch die Mindestlohnkommission erfolgen, welche konkrete und quantifizierbare Vorgaben für die durchzuführende Gesamtabwägung erhält.
Viel Raum nimmt die Reform des Arbeitszeitgesetzes ein. Statt nur täglicher soll die Möglichkeit wöchentlicher Höchstarbeitszeiten im Rahmen der EU-Arbeitszeitrichtlinie geschaffen werden. Die Ausgestaltung soll im Dialog mit den Sozialpartnern erfolgen. Die Koalition begründet diese Flexibilisierung insbesondere mit besserer Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die Pflicht zur elektronischen Arbeitszeiterfassung soll unbürokratisch geregelt werden und jedenfalls für kleine und mittlere Unternehmen Übergangsregeln vorsehen. Vertrauensarbeitszeit soll weiter möglich bleiben, die Ruhezeitregelungen werden nicht weiter flexibilisiert.
Formerfordernisse sollen an vielen Stellen abgebaut werden, gerade auch im Arbeitsrecht. Ausdrücklich genannt werden Schriftformerfordernisse bei Befristungen. Dies würde befristete Arbeitsverträge auch vollständig digital ermöglichen.
Zuschläge für Mehrarbeit in Vollzeit sollen steuerfrei werden. Als Vollzeitarbeit sollen bei tariflichen Regelungen mindestens 34 Stunden Wochenarbeitszeit gelten, bei nicht tariflich festgelegten oder vereinbarten Arbeitszeiten 40 Stunden. Für Teilzeitbeschäftigte soll die Möglichkeit einer steuerlich begünstigten Prämie für die Ausweitung der Arbeitszeit geschaffen werden.
Die gesetzliche Regelaltersgrenze wird nicht erhöht, vielmehr möchte die Koalition freiwilliges Arbeiten im Alter durch eine sog. “Aktivrente” mittels finanzieller Anreize fördern. Wer freiwillig weiterarbeitet, soll bis zu 2.000 Euro monatlich steuerfrei erhalten. Zudem soll das Vorbeschäftigungsverbot aufgehoben und so befristetes Weiterarbeiten ermöglicht werden, um eine Rückkehr zum bisherigen Arbeitgeber zu erleichtern. Die Koalition setzt hier auf steuerliches Zuckerbrot, nicht auf die Peitsche höherer Regelaltersgrenzen.
Um qualifizierte Einwanderung zu fördern soll eine digitale Agentur für Fachkräfteeinwanderung (“Work-and-stay-Agentur”) mit einer zentralen IT-Plattform als einheitliche Ansprechpartnerin für ausländische Fachkräfte geschaffen werden. Diese soll alle Prozesse der Erwerbsmigration und der Anerkennung von Berufs- und Studienabschlüssen bündeln und beschleunigen. Anerkennungsverfahren sollen künftig innerhalb von acht Wochen erfolgen. Um diese Beschleunigung zu erreichen, wird eine ad-hoc-Arbeitsgruppe eingerichtet.
Betriebsratssitzungen und Betriebsversammlungen sollen gleichwertig in Präsenz wie online durchgeführt werden können. Das BetrVG soll um die Möglichkeit, online zu wählen, ergänzt werden. Die Gewerkschaften sollen ein gleichwertiges digitales Zugangsrecht in die Betriebe erhalten. Zudem wird festgehalten, dass der Einsatz von KI im Unternehmen die Qualifizierung der Beschäftigten erfordert. Unklar bleibt, ob dies eine weitergehende Schulungspflicht als bereits nach der KI-VO geltend bedeuten wird. Im Bereich Digitalisierung und KI in der Arbeitswelt soll zudem die Mitbestimmung weiterentwickelt werden.
Zur besseren Aufnahme einer Arbeit für Menschen mit Behinderung(en) sollen die Schwerbehindertenvertretungen gestärkt werden. Konkrete Maßnahmen werden nicht genannt.
Die betriebliche Altersvorsorge soll digitalisiert, vereinfacht, transparenter gemacht und entbürokratisiert werden. Gleichzeitig soll die Portabilität der betrieblichen Altersvorsorge bei einem Arbeitgeberwechsel erhöht werden.
Der Diskriminierungsschutz soll gestärkt und verbessert werden. Konkrete Reforminhalte werden nicht genannt.
Statusfeststellungsverfahren sollen mit Blick auf das Herrenbergurteil “zügig” schneller, rechtssicherer und transparenter gemacht werden. So soll zur Beschleunigung eine nicht näher ausgeführte Genehmigungsfiktion eingeführt werden, welche im Zuge der Reform der Alterssicherung für Selbstständige umgesetzt werden wird.
Verpflichtungen zur Bestellung von Betriebsbeauftragten sollen abgeschafft und der Schulungs-, Weiterbildungs- und Dokumentationsaufwand soll signifikant reduziert werden. Der Koalitionsvertrag schweigt sich jedoch dazu aus, welche der Vielzahl möglicher Betriebsbeauftragter hiervon betroffen sein wird. Die Anzahl an Personen mit Sonderkündigungsschutz könnte sich aber reduzieren.
Zur Verkürzung von Verfahrensdauern soll der Zugang zu zweiten Tatsacheninstanzen begrenzt werden. Offen bleibt aber, ob und ggf. inwieweit davon auch arbeitsgerichtliche Verfahren umfasst sein sollen.
Fazit: Die als zwei der Kernthemen des Koalitionsvertrages formulierten Ziele Entbürokratisierung und (weitere) Digitalisierung finden auch im Bereich des Arbeitsrechts ihren Niederschlag. Die neue Koalition will mehrere Reformvorhaben der Ampelkoalition fortführen, setzt aber auch eigene Akzente. Das BMAS soll weiter durch die SPD geführt werden, dies sorgt für gewisse personelle Kontinuität. Entscheidend wird die zeitnahe Umsetzung der z.T. dringend benötigten Vorhaben sein. Dies gilt nicht zuletzt für die längst überfällige Reform des Arbeitszeitgesetzes. Mitunter sind Vorhaben auch nur grob skizziert. Hier wird es für eine zeitnahe Umsetzung entscheidend auf die Kompromissbereitschaft der Koalitionäre ankommen.
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