von Karsten Matthieß (Fachanwalt für Arbeitsrecht) und Hanna Rehbein (wissenschaftliche Mitarbeiterin)
Erhält eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer eine variable Vergütung, die bei Erreichen gewisser Ziele zu zahlen ist, können diese Ziele entweder durch Vereinbarung (Zielvereinbarung) oder durch einseitige Vorgabe (Zielvorgabe) des Arbeitgebenden festgelegt werden. Vorteil der Zielvereinbarung ist üblicherweise eine höhere Akzeptanz bei den Beschäftigten und dass die vereinbarten Ziele nicht auf eine Angemessenheit gerichtlich überprüft werden. Demgegenüber ermöglicht eine Zielvorgabe den Arbeitgebenden, ihre Vorstellung von Zielen umzusetzen. Allerdings unterliegen solche einseitigen Zielsetzungen einer gerichtlichen Kontrolle. Im Streitfall prüfen die Gerichte, ob bei der Zielvorgabe billiges Ermessen gewahrt, mithin ob die Interessen der Beschäftigten angemessen berücksichtigt wurden. In der Praxis sind häufig Regelungen anzutreffen, nach denen primär eine Zielvereinbarung zu schließen ist und für den Fall, dass eine solche nicht zustande kommt, dem Arbeitgebenden das Recht geben, die Ziele einseitig vorzugeben. Eine solche Klausel hat das BAG mit Urteil vom 3.7.2024 – Az. 10 AZR 171/23 für unwirksam befunden und dem Kläger Schadensersatz wegen unterbliebener Zielvereinbarung zuerkannt.
Die Beteiligten vereinbarten eine Klausel, die vorrangig eine Zielvereinbarung und nur nachrangig eine Zielvorgabe durch die Arbeitgeberin vorsieht. Das BAG hat in diesem Fall entschieden, dass eine solche Klausel unwirksam ist, da sie den Arbeitnehmer nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unangemessen benachteiligt. Dies sei dann der Fall, wenn die Klausel einem Arbeitgebenden ermöglicht, die vertraglich vereinbarte Rangfolge von Zielvereinbarung und Zielvorgabe zu unterlaufen, indem er die Verhandlungen über eine Zielvereinbarung grundlos verweigern oder abbrechen kann, um die erforderliche Konkretisierung und Gewichtung der zu erreichenden Ziele einseitig vorzunehmen. Dem Mitarbeitenden sei bei einer solchen Klausel die Möglichkeit genommen, auf die Festlegung der Ziele Einfluss zu nehmen. Bereits im Vorfeld bestünde für die Beschäftigten der Druck, Vorschläge des Arbeitgebers oder der Arbeitgeberin anzunehmen, auch wenn die eigenen Zielvorstellungen davon abweichen, da die Gefahr besteht, dass die Verhandlungen abgebrochen und die Ziele einseitig vorgegeben werden. Damit weiche eine solche Klausel von dem allgemeinen Grundsatz ab, dass Verträge und die sich daraus ergebenen Pflichten für jede Seite bindend sind.
Sofern der abgeschlossene Arbeitsvertrag einen Anspruch des Beschäftigten auf einen variablen Gehaltsbestandteil gemäß einer Zielvereinbarung vorsieht, ist der Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin verpflichtet, mit dem Mitarbeitenden Verhandlungen über den Abschluss einer solchen Zielvereinbarung zu führen. In seiner Entscheidung konkretisiert das BAG die Gesichtspunkte für die Verhandlungen solcher Zielvereinbarungen. Nach dem BAG verletzt ein Arbeitgeber oder eine Arbeitgeberin eine vertragliche Nebenpflicht, wenn entgegen der Aufforderung des Beschäftigten, mit ihm eine Zielvereinbarung abzuschließen, keine Verhandlungen über die einvernehmliche Festlegung der Ziele aufgenommen werden. Der Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin erfülle diese vertragliche Pflicht regelmäßig nur dann, wenn es Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ermöglicht wird, auf die Festlegung der Ziele in Verhandlungen Einfluss zu nehmen. Die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen, sei wiederum nur gegeben, wenn der Arbeitgebende den Kerninhalt der vorgeschlagenen Zielvereinbarung ernsthaft zur Disposition stellt, also sich deutlich und ernsthaft zu Änderungen bereit erklärt und Beschäftigten eine Gestaltungsfreiheit einräumt. Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müsse auch bei Annahme der Zielvereinbarung erkennbar sein, dass der Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin zu Änderungen an dem Vorschlag bereit war.
Grundsätzlich sind Arbeitgebende verpflichtet, für erbrachte Arbeitsleistung die vereinbarte Vergütung zu zahlen (§ 611a Abs. 2 BGB). Im Widerspruch mit diesem Grundgedanken stehende Klauseln in vom Arbeitgeber oder Arbeitgeberin gestellten Verträgen (AGB), die es ermöglichen, dem Beschäftigten bereits erarbeitetes Entgelt wieder zu entziehen, sind unwirksam. Sie benachteiligen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unangemessen. Mit Blick auf Zielvergütungen hat das BAG in der Entscheidung verschiedene Gesichtspunkte bestätigt:
All diese Gestaltungen würden es ermöglichen, dem Beschäftigten bereits verdiente Vergütung wieder zu entziehen. Darüber hinaus erschweren die Stichtags- und die Rückforderungsklausel die Beendigung des Arbeitsverhältnisses und stellen damit eine unzulässige Verkürzung der Berufsfreiheit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aus Art. 12 Abs. 1 GG dar.
Ist eine Zielvereinbarung im Arbeitsvertrag vorgesehen und schließt der Arbeitgebende eine solche nicht mit dem Beschäftigten ab, stellt das eine Pflichtverletzung dar, die zu einem Schadensersatzanspruch des Beschäftigten führen kann. Das Verschulden des Arbeitgebenden wird vermutet (§ 280 S. 2 BGB). Um eine Pflichtverletzung auf Seiten des Arbeitgebenden auszuschließen, muss durch diesen dargelegt werden können, dass Verhandlungen über eine Zielvereinbarung geführt wurden und der Vorschlag ernsthaft zur Disposition gestellt wurde. Der Arbeitgebende muss darlegen, dass er das Scheitern der Verhandlungen nicht zu vertreten hat. Aus diesem Grund ist die Dokumentation der Verhandlungen unerlässlich. Gelingt der Nachweis nicht, kommt es zu einer Schadensersatzpflicht. Grundlage für die Ermittlung des Schadens ist die dem Beschäftigten für den Fall der Zielerreichung zugesagte Vergütung. Denn die Rechtsprechung geht davon aus, dass nur erreichbare Ziele in Zielvereinbarungen vereinbart werden, weil diese nur so ihrem Motivationscharakter gerecht werden. Der Schadensersatz wird nur dann vermindert, wenn entweder der Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin Umstände darlegen kann, die die Annahme rechtfertigen, der Beschäftigte hätte nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge die Ziele nicht voll erreicht oder wenn den Arbeitnehmenden ein Mitverschulden am Nichtzustandekommen der Zielvereinbarung trifft. Letzteres kann bspw. dann der Fall sein, wenn den Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin nicht die alleinige Pflicht zur Einleitung der Verhandlungen trifft, sondern die gleiche Pflicht auch dem Beschäftigten zukommt und er untätig blieb.
Für die Praxis bedeutet die Entscheidung, dass die bestehenden Klauseln über Zielvereinbarungen überprüft werden sollten. Eine Zielvorgabe als “Notlösung” für den Fall scheiternder Verhandlungen ist nach der Entscheidung nicht mehr ohne weiteres möglich. Arbeitgebende sollten sich entweder für eine Zielvereinbarung oder für eine Zielvorgabe entscheiden und dies in den vertraglichen Regelungen umsetzen.
Entscheiden sie sich für eine Zielvereinbarung, müssen Verhandlungen geführt und die Ziele ernsthaft zur Disposition gestellt werden. Gerade dieser Punkt sollte unbedingt dokumentiert werden. Um dies zu gewährleisten, wäre es denkbar, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nur einen Rahmen für Zielkategorien zu setzen (bspw. persönliche Entwicklungsziele, operative Entwicklungsziele etc.) und den Beschäftigten zum ersten Vorschlag aufzufordern. Damit wird schon im Ansatz deutlich, dass die Zielinhalte zur Disposition stehen. Ratsam ist es, im Anschluss jedenfalls über die Ziele zu sprechen und auch zu dokumentieren, wenn es gegenläufige Vorstellungen gab. Mit Blick auf einen möglichen Schadensersatz empfiehlt es sich auch, dem Beschäftigten die Last der Initiative zur Vereinbarung von Zielen vertraglich (mit)aufzubürden.
Entscheiden sich Arbeitgebende für eine Zielvorgabe, sollte nicht nur aus Motivationsgesichtspunkten bei der Vorgabe sorgfältig geprüft werden, ob der Beschäftigte die Ziele ernsthaft erreichen kann und die Interessen des Beschäftigten hinreichend gewahrt werden. Auch hier bietet sich ein dokumentiertes Gespräch über die Vorstellungen des Beschäftigten an, weil so die Interessenlage des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin erfragt wird und diese Eingang in die Zielvorgabe finden kann.
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