In der Vergangenheit wurden Lehrkräfte oft als Selbstständige auf honorarvertraglicher Basis beschäftigt. Das geschah nur zum Teil aus Kostengründen. Ein großer Teil dieser Lehrkräfte übte neben der stundenweisen Lehrtätigkeit im Hauptberuf eine andere Tätigkeit aus, die ihren Lebensunterhalt inklusive der Krankenversicherung bzw. Altersvorsorge absicherte. Diese Lehrkräfte haben kein Interesse an einem Arbeitsvertrag, denn die Beschäftigung als Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer ist im Gegensatz zur selbstständigen Tätigkeit v.a. wegen der abzuführenden Sozialversicherungsbeiträge für diese Personengruppe nicht nur finanziell weniger lukrativ, sondern auch die arbeitsvertraglichen Bindungen, insbesondere das Weisungsrecht der Arbeitgeberseite hinsichtlich der Lage der Arbeitszeit oder lange Kündigungsfristen, passen nicht zu deren Interessen.
So gab es den hauptberuflichen Rettungssanitäter, der als Nebentätigkeit stundenweise die Ausbildung seiner zukünftigen Kolleginnen und Kollegen übernahm. Es gab den Professor an der Universität, dessen Herzenssache es war, sein Wissen an die jungen Menschen weiterzugeben, die an einer Berufsfachschule lernen. Es gab die erfolgreiche Orchestermusikerin, die junge Talente an der Musikschule auf die Aufnahmeprüfung für das Musikstudium vorbereitete. Es gab die Pferdewirtin mit eigenem Reiterhof, Pension und Hofladen, die stundenweise für ein Kinderheim tätig war und den Kindern dort Reitunterricht gab. Und es gab den Grafiker im Ruhestand, dem es Freude bereitete, Jugendlichen an der Volkshochschule das Zeichnen beizubringen.
Das Herrenberg-Urteil des Bundessozialgerichtes (BSG) vom 28. Juni 2022 (Az.: B 12 R 3/20 R) hat viel Aufregung für Unternehmen gebracht, welche selbstständige Lehrkräfte auf honorarvertraglicher Basis beschäftigten, indem es die Anforderungen an eine selbstständige Tätigkeit für Lehrkräfte erheblich verschärfte. Insbesondere forderte das BSG für eine echte Selbstständigkeit, dass bei der Dienstleistung eine Weisungsfreiheit vorhanden ist, die sie insgesamt als eine unternehmerische kennzeichnet. Die Tätigkeit der Lehrkraft muss also durch typische unternehmerische Freiheiten geprägt sein, die ihr eigenes unternehmerisches Handeln mit entsprechenden unternehmerischen Chancen und Risiken erlauben. Fehlt dieses unternehmerische Element, ordnet die sozialgerichtliche Rechtsprechung die Lehrkraft seit “Herrenberg” regelmäßig als sozialversicherungspflichtig abhängig beschäftigt ein. Die Sozialversicherungsträger haben ihre Beurteilungsmaßstäbe bei der Feststellung des Erwerbsstatus von Lehrkräften – abhängige Beschäftigung oder Selbständigkeit – daraufhin mit Wirkung vom 1. Juli 2023 entsprechend geändert.
Die geänderten Maßstäbe sind sicherlich für eine Vielzahl von Fallgestaltungen interessengerecht. Diejenigen Lehrkräfte, die im Wesentlichen nur einen Auftraggeber haben, die dort den Lehrkräften mit Arbeitsvertrag vergleichbar eingebunden und tätig sind, und die ihre Krankenversicherung und Altersvorsorge wegen des i. d. R. geringen Einkommens nur unzureichend selbst absichern können, bedürfen sicherlich des Schutzes der sozialgerichtlichen Rechtsprechung. Ansonsten besteht auch für die Gesellschaft die Gefahr, dass sie insbesondere die unzureichende Rentenversicherung dieser Lehrkräfte durch Sozialleistungen im Alter auffangen muss.
Für eine große Zahl von bisher selbstständig beschäftigten Lehrkräften gilt dies jedoch insbesondere wegen der anderweitigen Absicherung ihres Lebensunterhalts und der Kranken- und Rentenversicherung durch ihre hauptberufliche Tätigkeit nicht. Trotzdem bestand nach “Herrenberg” für viele Bildungsträger auch bezüglich dieser Lehrkräfte das Risiko, in Größenordnungen Sozialversicherungsbeiträge für die teilweise schon über Jahre beschäftigten Lehrkräfte nachzahlen zu müssen. Dazu kommt das Problem, wie die Bildungsträger die durch die Sozialversicherungspflicht entstehenden Mehrkosten von einem Tag auf den anderen abfedern sollen. Außerdem stellt sich die Frage, inwieweit diese Personen den Bildungsträgern zukünftig überhaupt noch als Lehrkräfte zu Verfügung stehen, denn die Lehrkräfte selbst lehnen aus den genannten Gründen nicht selten einen Arbeitsvertragsschluss ab. So besteht neben dem finanziellen Problem für viele Bildungsträger die Gefahr, in einer von Lehrermangel geprägten Branche weiteres gutes Personal zu verlieren und das bisherige Bildungsangebot nicht aufrecht erhalten zu können.
Diese Problemlage hat der Gesetzgeber zum Glück gesehen. Auf die Initiative des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales hin hat der Bundestag kürzlich eine Übergangsregelung getroffen, welcher der Bundesrat am 14. Februar 2025 zugestimmt hat. Durch diese Übergangsregelung wird für einen begrenzten Zeitraum bis 31. Dezember 2026 von einer ansonsten zwingenden Nachforderung von Sozialbeiträgen unter der Voraussetzung abgesehen, dass Bildungsträger und Lehrkraft bei Vertragsschluss beide von Selbständigkeit ausgegangen sind. Die betroffene Lehrkraft muss der Übergangsregelung außerdem zustimmen, damit diese zum Tragen kommt. Damit werden auch deren Interessen gewahrt.
Durch diese Übergangsregelung gewinnen die Bildungsträger vor allem eines: Zeit. Sie haben die Möglichkeit, sich bis Ende 2026 auf die jetzt geltenden Rahmenbedingungen einzustellen. Aus der Welt sind diese verschärften Anforderungen damit jedoch nicht: Spätestens ab 1. Januar 2027 sind für alle Lehrkräfte, welche diese strengen Maßstäbe für eine Selbstständigkeit nicht erfüllen, Sozialversicherungsbeiträge abzuführen. Bildungsträgern ist deshalb anzuraten, sich schon jetzt mit der Frage zu befassen, ob die derzeitige Beschäftigung ihrer Lehrkräfte auf honorarvertraglicher Basis den strengen Anforderungen von “Herrenberg” standhalten wird und -sollte das nicht der Fall sein- wie sie ihre Organisationsmodelle an die durch “Herrenberg” verschärften Anforderungen an eine selbstständige Tätigkeit anpassen können. Dazu kann es auch notwendig sein, dass die Lehrkraft selbst ihre Dienstleistungserbringung an die geänderten Voraussetzungen für eine selbstständige Tätigkeit anpasst. In einigen Fällen wird es auch erforderlich sein, auf eine anderweitige Beschäftigungsvariante (z. B. Minijob kombiniert mit einem Arbeitszeitkonto) umzustellen. Da all das nicht von heute auf morgen erledigt sein wird, ist den Bildungsträgern anzuraten, nicht zu lange zu warten. Wir beraten Sie hierzu gern.
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