Das Kammergericht Berlin stärkt Rechte der Bieter

Das Vergabeverfahren und ein sich anschließendes Nachprüfungsverfahren sind grundsätzlich von dem Grundsatz der Beschleunigung geprägt. Dies gilt auch für die gerichtliche Prüfung durch einen Vergabesenat. Der Gesetzgeber kann aber aufgrund der richterlichen Unabhängigkeit den Gerichten kei­ne Entscheidungsfristen setzen. Den Interessen der Beteiligten an einer zeitnahen Entscheidung durch die Vergabesenate wird regelmäßig jedoch dadurch Rechnung getragen, dass der Vergabesenat das Ver­fahren in der Sache selbst abschließend entscheidet. Von diesem Grundsatz ist das Kammergericht Ber­lin in seinem Beschluss vom 10. Februar 2020 (vgl. Beschluss vom 10. Februar 2020, Az.: Verg 06/19) abge­wichen. Das Kammergericht hat die Entscheidung der Vergabekammer Berlin aufgehoben und die Ver­gabekammer verpflichtet, unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Kammergerichts Berlin erneut über die Sache zu entscheiden. In den Grün­den des Beschlusses übt das Kammergericht Berlin nachhaltige und schwere Kritik an der Entscheidung der Vergabekammer. So leide das Verfahren der Verga­bekammer an »vielzähligen schwerwiegenden Män­geln, die es unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten allenfalls als Rumpfverfahren erscheinen lassen«.
Die Vergabekammer Berlin hatte der Antrag­stellerin in dem Verfahren die Akteneinsicht ver­weigert. In diesem Zusammenhang weist das Kam­mergericht Berlin darauf hin, dass § 165 Abs. 1 GWB ein im Ausgangspunkt uneingeschränktes Recht auf Akteneinsicht gewährt. Nur bei Vorliegen von besonderen Gründen, insbesondere Betriebs­ oder Geschäftsgeheimnisse, kann eine – teilweise – Ein­sicht in die Akten verweigert werden. Es sei auch nicht zu beanstanden, wenn der Antragsteller im Rahmen der Akteneinsicht beabsichtigt, Vergabe­rechtsverstöße aufzudecken, die ihm ansonsten mangels Aktenkenntnis in der Regel unbekannt bleiben. Die Herangehensweise der Vergabekammer, dem Antragsteller in einem ersten Schritt die Akten­einsicht zu verweigern, um ihm dann vorzuwerfen, sein Vortrag sei spekulativ und hieraus zu schluss­folgern, der Antrag sei offensichtlich unzulässig, fand vor dem Kammergericht Berlin keine Gnade.

Beanstandet wurde auch die Entscheidung der Vergabekammer, auf die Beiladung des Zuschlags­aspiranten zu verzichten. Zwar war aus Sicht der Vergabekammer dessen Beiladung nicht erforderlich, da die Vergabekammer ja bereits beabsichtigt hatte, den Antrag zurückzuweisen und daher eine Rechts­verletzung des Zuschlagsaspiranten nicht im Raume stand. Das Kammergericht wies jedoch darauf hin, dass die Vergabekammer im Blick zu behalten habe, dass sie nicht am Ende des Instanzenzuges stehe und daher zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung über die Beiladung keine Gewissheit darüber haben kann, wie die Entscheidung über den Nachprüfungsantrag letztlich– nämlich durch den Vergabesenat – aus­fallen werde.

Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass auch der Verzicht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor der Vergabekammer vom Kammergericht Berlin beanstandet wurde. Der Verzicht auf eine mündliche Verhandlung ist nur bei Unzulässigkeit oder bei offensichtlicher Unbegrün­detheit eines Nachprüfungsantrags gerechtfertigt. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, hat die Vergabe­kammer – so das Kammergericht in seinem Beschluss­noch nicht ordnungsgemäß geprüft. Die Vergabe­kammer habe verkannt, dass bei Unzulässigkeit eines Nachprüfungsantrages zwar auf eine münd­liche Verhandlung verzichtet werden kann, nicht jedoch muss. Dies bedeutet, dass die Vergabekammer eine Ermessensentscheidung darüber zu treffen hat, ob eine mündliche Verhandlung durchgeführt wird. Dass die Vergabekammer Berlin sich jedoch bewusst war, überhaupt hier eine freie Entscheidung treffen zu können, war weder dem Akteninhalt noch dem Beschluss der Vergabekammer Berlin zu entnehmen.

Einen weiteren schweren vergaberechtlichen Verstoß hat die Vergabekammer Berlin nach Ansicht des Kammergerichts auch dadurch begangen, dass sie entgegen § 163 Abs. 2 S. 3 GWB es unterlassen hat, dem Antragsgegner den Nachprüfungsantrag zu übermitteln. Dies ist nämlich nur dann zulässig, wenn der Nachprüfungsantrag offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist. Dass die Vergabekam­mer Berlin aufgrund nachvollziehbarer zutreffender Erwägungen nicht zu dem Ergebnis hat gelangen können, es liege eine offensichtliche Unzulässigkeit oder Unbegründetheit vor, hat das Kammergericht umfangreich dargelegt.

FAZIT

  • Antragsteller haben grundsätzlich einen Anspruch auf Akteneinsicht.
  • Der Zuschlagsaspirant ist bei Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens grundsätzlich beizuladen.
  • Von einer mündlichen Verhandlung kann nur in Ausnahmefällen Abstand genommen werden.

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Dr. Ludger Meuten
Tel: +49 351 563 90 29