Nach dem deutschen Arbeitszeitgesetz musste im Unternehmen bisher nicht die gesamte Arbeitszeit dokumentiert werden, sondern bisher nur Überstunden und Sonntagsarbeit. Dies wird sich nun ändern müssen, denn das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat gestern ein überraschendes Grundsatzurteil gesprochen: Nach seiner Entscheidung vom 13. September 2022 (Az.: 1 ABR 22/21) sind Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von ihren Beschäftigten geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. Das BAG begründete diese Verpflichtung mit der Auslegung des deutschen Arbeitsschutzgesetzes nach dem sogenannten Stechuhr-Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urteil vom 14. Mai 2019 , C-55/18). Der Betriebsrat könne deshalb die Einführung eines Systems der (elektronischen) Arbeitszeiterfassung im Betrieb nicht mithilfe der Einigungsstelle erzwingen, denn nach Ansicht des BAG gibt es bereits eine gesetzliche Verpflichtung der Unternehmen zur systematischen Erfassung der Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten.
Das überraschende Urteil des BAG wird schon jetzt als „Paukenschlag“ bezeichnet. Die gesetzliche Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung geht viel weiter als das in der Vorinstanz (vgl. Landesarbeitsgericht Hamm, Beschluss vom 27. Juli 2021, Az.: 7 TaBV 79/20) eigentlich in Streit stehende Recht des Betriebsrates, eine Zeiterfassung im Betrieb zu erzwingen, da sie auch für Unternehmen ohne Betriebsrat gilt.
Es ist davon auszugehen, dass dieses Grundsatzurteil weitreichende Auswirkungen auf die derzeit praktizierten Arbeitszeitmodelle in Wirtschaft und Verwaltung haben wird. Unternehmen sollten sich auf umfassenden Änderungsbedarf hinsichtlich der bisher praktizierten Arbeitszeitmodelle einstellen: Ob in Zukunft eine Vertrauensarbeitszeit noch möglich ist, scheint nun mehr als fraglich. Auch auf mobile Arbeit und Homeoffice dürfte das Urteil weitreichende Auswirkungen haben.
Noch ist allerdings vieles unklar: Muss eine elektronische Zeiterfassung eingeführt werden oder genügt z. B. auch eine handschriftliche Dokumentation? Und was genau muss alles erfasst werden? Hier bleibt der genaue Wortlaut der Begründung des Urteils des Bundesarbeitsgerichts abzuwarten. Wir halten Sie auf dem Laufenden.