Ordnet das Unternehmen gegenüber mehreren Mitarbeitenden an, eine Erkrankung und Arbeitsunfähigkeit schon „am ersten Tag“ oder zumindest vor den in § 5 EFZG vorgesehenen Zeitpunkten nachzuweisen, macht der Betriebsrat oft Mitbestimmungsrechte geltend und verlangt teilweise sogar, die Hintergründe zu kontrollieren.
Dieses Vorgehen hat das Bundesarbeitsgericht jetzt mit Urteil vom 15. November 2022 (Az. 1 ABR 5/22) begrenzt: Zwar kann die Anordnung eines vorzeitigen Nachweises dem mitbestimmungspflichtigen „Ordnungsverhalten“ (§ 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG) unterfallen. Diese Anordnung muss aber über die Anzahl der betroffenen Mitarbeiter hinaus einen „kollektiven Bezug“ aufweisen. Dieses für Mitbestimmungsrechte immer erforderliche Kriterium setzt nach Ansicht des BAG aber mehr voraus, als eine – ggf. sogar gleichzeitige – Anordnung der früheren Nachweispflicht gegenüber mehren Mitarbeitenden. Um die Mitbestimmung zu begründen, muss das Unternehmen bei der Anordnung eine zugrundeliegende „Regel“ erkennen lassen. Nur die Einführung und Einhaltung der Regel stellt den mitbestimmungspflichtigen Sachverhalt dar. Was eine solche Regel ist, verrät das BAG aber nicht. Hier dürften aber insbesondere fest normierte Umfänge von Fehlzeiten (Länge oder Anzahl) oder im Voraus festgelegte Indizien einer „Auffälligkeit“ in Betracht kommen.
Eine solche „Regel“ konnte das BAG im entschiedenen Fall nicht erkennen, obwohl der Arbeitgeber in 17 Fällen (bei knapp 1000 Beschäftigten) gleichlautende Schreiben verwendete, in denen von einer Entscheidung in „Abstimmung zwischen Vorgesetztem und Personalabteilung“ die Rede war. Das BAG sieht hierin vielmehr einen Nachweis über jeweils individuelle Entscheidungen ohne erkennbare Regel.
Auch wenn die Rechtsprechung noch zur „alten“ Nachweispflicht (Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Papierform) erging, ist diese auch nach Einführung der „elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung“ zum 1. Januar 2023 noch relevant. Denn auch hier kann das Unternehmen verlangen, dass die Mitarbeitenden vor dem regulären Zeitpunkt des Aufsuchens eines Arztes am vierten Tag der Arbeitsunfähigkeit bereits die Arbeitsunfähigkeit feststellen lassen müssen.
Unternehmen können daher zukünftig – solange keine Regel erkennbar ist – die vorzeitigen Nachweispflichten ohne vorherige Beteiligung des Betriebsrates rechtssicher umsetzen.